Wir respektieren
deine Privatsphäre!

Cookie-Einstellungen

Indem du auf „Einverstanden” klickst, stimmst du der Verwendung von Cookies und anderen Technologien (von uns sowie anderen vertrauenswürdigen Partnern) zu. Wir verwenden diese für anonyme Statistikzwecke, Komforteinstellungen und zur Anzeige von personalisierten Inhalten und Anzeigen. Dies dient dazu dir ein verbessertes Website-Erlebnis bieten zu können. Mehr darüber findest du in unseren Datenschutzbestimmungen | Impressum

  • Diese Cookies sind für den Betrieb der Seite unbedingt notwendig und ermöglichen beispielsweise sicherheitsrelevante Funktionalitäten. Außerdem werden mit dieser Art von Cookies z.B. Ihre getroffenen Einstellungen zu Cookies gespeichert.

  • Um unser Angebot und unsere Webseite weiter zu verbessern, erfassen wir anonymisierte Daten für Statistiken und Analysen. Mithilfe dieser Cookies können wir beispielsweise die Besucherzahlen und den Effekt bestimmter Seiten unseres Web-Auftritts ermitteln und unsere Inhalte optimieren.

  • Wir nutzen diese Cookies, um dir die Bedienung der Seite zu erleichtern. So kannst du beispielsweise auf Basis einer vorherigen Unterkunftssuche bei einem erneuten Besuch unserer Webseite komfortabel auf diese zurückgreifen.

  • Diese Cookies werden genutzt, um dir personalisierte Inhalte, passend zu deinen Interessen anzuzeigen. Somit können wir dir Angebote präsentieren, die für dich und deine geplante Reise besonders relevant sind.

24 Stunden an der Wildspitze

Der Autor und Fotograf Bernd Ritschel hat den höchsten Berg Nordtirols bereits viele Male erklommen. Sein letzter Gipfelsturm allerdings endete knapp vor dem Ziel in Nebel, Regen und Sturm. Seine Erlebnisse zeigen, dass unter den entfesselten Naturgewalten der nötige Rückzug kein Frust, sondern reich an Einsichten, Erfahrungen und Erinnerungen ist.

Start bei bestem Wetter

Es ist ein wolkenloser August-Tag, als wir von Stablein aus Richtung Breslauer Hütte wandern. Am Rofenbach hatte ich zu Andi, meinem Gefährten bei dieser Tour, gesagt: „Was für ein Glück! Der Wetterbericht für die nächsten vier Tage ist perfekt. Bessere Bedingungen werden wir für unser Gipfelbiwak auf der Wildspitze diesen Sommer wohl nicht mehr bekommen“.

Auf der Sonnenterrasse der Breslauer Hütte gönnen wir uns eine kurze Rast mit Apfelschorle. An den Nachbartischen feiern andere Bergsteiger ihren Gipfelerfolg an der Wildspitze. Neugierig lauschen wir ihren Erzählungen: „Top Verhältnisse, geniale Fernsicht, was für ein Berg.…“ Zuversichtlich gehen wir weiter. Kein Lüftchen regt sich im Mitterkar.

Vent Sommer Breslauer Hütte
Die steile Schneerinne zum Klettersteig

Unter perfekten Verhältnissen hinauf ins Mitterkarjoch

Selbst in der steilen Schneerinne zum Klettersteig unter dem Mitterkarjoch brauchen wir keine Steigeisen. Die Verhältnisse sind perfekt. Über trockene Felsen klettern wir hinauf in die enge Scharte.

Unsere Rucksäcke sind schwerer als sonst, denn wir wollen direkt unter dem Gipfelkreuz der 3770 m hohen Wildspitze über Nacht biwakieren, auf einer kleinen Isomatte, gewärmt von den Daunen des leichten Schlafsacks. In der Scharte legen wir die Klettergurte an, verbinden uns mit dem Seil, ziehen Jacke, Mütze und Handschuhe an. Ein paar Wolkenbänder drücken von Nordwesten herein.

Eisiger Sturm kommt auf

Zügig steigen wir hinauf Richtung Gipfelgrat. Plötzlich werden die Wolken dichter, Nebel umhüllt uns, der Wind wird stärker. Die Temperatur sinkt schlagartig um mindestens 15 Grad. Am Fuß des Gipfelgrates stemmen wir uns gegen fauchende Sturmböen. Wir kämpfen mit der Wirklichkeit jenseits des Wetterberichts.

„Andi, lass uns weiter gehen, es reißt sicher bald wieder auf“, schlage ich vor. Doch nur 20 Höhenmeter unter dem Gipfel spüren wir unsere Finger nicht mehr. Die Füße sind eiskalt, der Sturm zieht uns alle Energie aus dem Körper. Mit jedem Schritt wird klarer: Ein Gipfelbiwak ist unmöglich.

 

Rückzug 20 Meter unter dem Gipfel

Wortlos entscheiden wir uns für den Rückzug. Wir verstehen die Welt nicht mehr. Im Abstieg über den Gletscher verschluckt uns ein „White out“: Die Sicht ist gleich null. Aufgeben? Standhalten?

Zurück im Mitterkarjoch frage ich Andi, ob er bereit sei für ein Biwak hier. Es müsste doch bald wieder aufreißen… Im Windschutz einer Mulde machen wir uns auf dem Gaskocher einen heißen Tee und kriechen danach in unsere dünnen Schlafsäcke. Es kommt aber immer schlimmer: Sturmböen treiben Graupel und Neuschnee in unsere Schlafsäcke.

Beim Abstieg ist die Sicht gleich null
Schlaflos im Biwak

Biwak im Mitterkarjoch

Schlaflos unter der Wildspitze. Die Zeit kriecht wie eine Schnecke. Meine Gedanken wandern zurück in die Vergangenheit. Viele Male war ich in den letzten 30 Jahren auf dem höchsten Berg Nordtirols. Kletterte über alle Wildspitzgrate. Stieg durch die eisige Nordwand und fand den Weg über die wildesten Blöcke. Als Fotograf auf der Suche nach stimmungsvollstem Licht bin ich allein oder in Begleitung meist schon nachts gestartet.

Mal folgten wir im Lichtkegel unserer Stirnlampen alten Spuren über den Mittelbergferner, ein anderes Mal ging es durch die Spaltenzonen des wilden Taschachferners. Am Gipfelkreuz folgte auf das traditionelle „Berg Heil“ immer eine emotionale Umarmung. Wir waren glücklich, lebten den Berg und unsere Träume von ihm. Seltsam. Die Erinnerungen an „Schönwetter-Besteigungen“ sind so blass. Warum nur? Macht Sonnenschein die Bergerlebnisse austauschbar?

Mitternacht – Abstieg im Sturm

Alles ist patschnass. Die Schlafsackdaunen verkleben zu dicken Klumpen. Mein Körper zittert unkontrollierbar. „Andi ich kann nicht mehr, lass uns absteigen“, bitte ich meinen Begleiter.

Mit klammen Fingern stopfen wir die Ausrüstung in die Rucksäcke. Wir beginnen einen sehr anspruchsvollen Abstieg. Nur wenige Meter reichen die Lichtkegel der Stirnlampen im Inferno von Schnee, Nebel und Graupel. Der Fels und auch die Stahlseile sind mit einer dünnen Eisschicht überzogen – wir müssen verdammt vorsichtig sein.

Dann endlich beruhigt sich das Wetter. Im Schutz einer Steinmauer legen wir uns zum zweiten Mal in dieser Nacht auf unsere Matten, in patschnassen Schlafsäcken. Mit jeder Faser meines Körpers spüre ich die Urgewalt der Natur. Wieder schlagen meine Gedanken Kapriolen. Und führen mir vor, dass sich tatsächlich die Sturmerlebnisse am deutlichsten in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Ich war erst 15 Jahre alt und schon zwei Wochen ganz allein unterwegs in den Ötztaler Alpen. Beseelt vom Wunsch, ein erfolgreicher Alpinist zu werden, hatte ich in dieser kurzen Zeit bereits allein 20 Dreitausender der Ötztaler Alpen bestiegen.

Der Autor beim nächtlichen Abstieg

Zeit für Erinnerungen

Damals, am 12. August 1979, als ich von der Braunschweiger Hütte aus den von Spalten zerrissenen Mittelbergferner sah, bekamen meine Ambitionen als Alleingänger jedoch einen Knacks. Die Feuchtigkeit kriecht immer tiefer in meine Knochen, an Schlaf ist nicht zu denken. Wohl aber an Chris aus dem englischen Essex. Ihn traf ich damals als fünfzehnjähriger Solist im Vorraum der Braunschweiger Hütte. Er war dreckig und verlottert, aber frohen Muts. Obwohl dicke Regentropfen gegen die Fenster klatschten, und weiter oben Schnee zu sehen war. Wir waren die Einzigen, die an diesem Tag Richtung Wildspitze aufbrachen, unbekümmert und wild, nervenstark und hart im Nehmen, genau so, wie ich mir damals den idealen Alpinisten vorstellte.


Beide hatten wir nur das Nötigste dabei: Steigeisen und Pickel. Spontan schlossen wir uns für diesen wetterbockigen Tag zusammen. Zu zweit fühlten wir uns stark. Auch um vieles sicherer, nachdem Chris aus den Tiefen seines Rucksacks auch noch ein altes Seil herausgezogen hatte. Einziger Nachteil dieser eher symbolischen Verbindung: Sie war aus dünnem, altem Hanf. Wahrscheinlich die Wäscheleine von Chris’ Mutter. Wir waren die einzigen am Berg. Kämpften uns durch Gewitter, Hagel und peitschende Schneeschauer zum Gipfel der Wildspitze. Als wir uns am Gipfelkreuz gratulierten, lichteten sich die Wolken wie von Geisterhand. Und Chris begann euphorisch und mit tiefer Stimme zu singen:„Here comes the sun“. Seither ist dieser Beatles-Song meine Hymne für jedes Glücksgefühl in den Bergen.

Vent Sommer Wegweiser

Der Spuk hat ein Ende

Über dem Ötztaler Hauptkamm verblassen die letzten Sterne. Die fahlen Farben der Dämmerung verdrängen die Schwärze der Nacht. Seit ein paar Minuten höre ich immer wieder Stimmen.

Ich stecke den Kopf aus der Schlafsackkapuze und sehe: Die ersten Seilschaften aus der nahen Breslauer Hütte folgen bereits dem schmalen Pfad ins Mitterkar. Manche Gruppen gehen still und andächtig einem Bergführer hinterher. Andere plaudern freudig erregt und blicken neugierig umher. Was der Tag wohl bringen mag? Wolkenlos ist er jedenfalls.

 

Spiegelei und Speck als Trost

Vermutlich hält uns Alexander Scheiber, der Wirt der Breslauer Hütte, für ziemlich schräge Typen, als er uns das prächtige Frühstück mit Spiegelei und Speck auf die Hüttenterrasse bringt. Andi und ich fallen nämlich von einem Lachanfall in den nächsten, dazwischen schütteln wir ungläubig unsere Köpfe. Unsere Sinne sind völlig überreizt vom nächtlichen Abenteuer in gleich zwei nasskalten Biwaks, die Gefühle galoppieren uns davon. Aber eines genießen wir wie selten zuvor im Leben: die wärmende Sonne.

Leicht und beschwingt wandern wir im Sonnenschein hinunter Richtung Stablein. Und irgendwann muss ich es dem Andi einfach sagen: „Hey Mann, pfeif auf den Gipfel. Wir haben ein Abenteuer erlebt. Und zwar ein verdammt eindrucksvolles“.

Bernd Ritschel

Gastautor Bernd Ritschel

Seit frühester Jugend lebt und liebt Bernd Ritschel die Bergwelt der Ötztaler Alpen. Er wurde 1963 im oberbayerischen Wolfratshausen geboren und lebt heute mit seiner Familie in Kochel am See. Seit mehr als 25 Jahren liegt ein Schwerpunkt seiner fotografischen Arbeit im Ötztal und den angrenzenden Bergregionen.

Mehrere Bildbände über die Ötztaler Alpen, viele Kalender, Ausstellungen, Poster und Postkartenserien spiegeln die Vielfalt und Leidenschaft seiner Fotografie in dieser Region wieder.