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Star-Designer Stefan Sagmeister schafft Fakten im ice Q
Stefan, das ice Q liegt auf 3.048 Metern und „zwingt“ uns regelrecht zu einem Perspektivwechsel. Und genau dazu regt auch Deine Ausstellung an. Ob in New York oder in einem Dorf in Tirol – verlieren wir uns gerade in negativen Gedanken, obwohl das gar nicht berechtigt ist?
Ja, dieses Gefühl scheint auf der ganzen Welt vorherrschend zu sein. Das liegt daran, dass sich die Medien – traditionelle wie soziale Medien – global auf kurzzeitige Phasen beschränken. Früher haben die Bauern den jährlichen Almanach gelesen, heute haben wir immerwährenden Input. 24 Stunden am Tag, vom TV bis zu Twitter.
Ich bin draufgekommen, dass fast alle Dinge, die schnell passieren schlecht erscheinen, weil das gut zur Kurzberichterstattung passt. Allerdings steht die statistische Wahrheit diametral zur gefühlten Wahrheit. Wenn man die Welt nämlich über einen längeren Zeitraum betrachtet, sieht man, dass sich mit wenigen Ausnahmen fast alles positiv entwickelt hat. Wir sind gesünder, hungern deutlich weniger, haben mehr Zugang zu Bildung und vieles, vieles mehr.
Aber das sieht man oft nur mit Abstand und mit Zeit.
Ja, das Positive braucht oft seine Zeit. Und dennoch: Für eine Ausstellung in Shanghai haben wir angedacht, ein Bündel mit gefälschten Zeitungen zu präsentieren, auf denen die Schlagzeile prangt: „135.000 Menschen der Extremarmut entflohen“. Diese Headline hätte über die letzten 25 Jahre jeden Tag der Wahrheit entsprochen.
Du gehst das Thema faktenbasiert an und verbindest Kunst mit Statistik. Wie kam es zu diesem Konzept?
Das war ganz einfach. Ich verfolge ein Langzeitthema, das auf Daten der letzten 200 Jahren basiert. Entsprechend braucht es ein Langzeitmedium als Grundlage. Und so habe ich die nüchternen, historischen Fakten mit einer sehr persönlichen, emotionalen Geschichte kombiniert. Die Gemälde stammen aus Restbeständen des Antiquitätenladens meiner Ur-Großeltern, die ich auf dem Dachboden gefunden habe. Es ergab konzeptionell total Sinn, ein Medium zu vervollständigen, das schon lange existiert und von dem man ausgehen kann, dass es auch noch lange existieren wird.
Spiegelt sich so auch der Fortschritt in Deiner persönlichen Geschichte, in der Geschichte Deiner Familie wider?
Absolut. Meine Ur-Ur-Großeltern haben sechs Kinder verloren und das war für diese Zeit kaum ungewöhnlich. Ein Thema, das ich in der Entwicklung der Kindersterblichkeit zwischen 1870 und 2020 aufgegriffen habe.
Müssen wir uns denn nur gedulden und alles wird gut bzw. besser? Oder ist „Better and better“ gerade auch ein Aufruf, aktiv zu werden?
Das ist eigentlich das Hauptmotiv. Der Glaube, dass alles miserabel ist, wirkt deprimierend und lähmend. Positives ist so wichtig, um Veränderungen anzustoßen. Wir sehen, was wir bereits erreicht haben, dass wir Erfolg haben können und es sich entsprechend lohnt.
Optimismus macht rein rational Sinn. Er gibt Kraft und Motivation. Ich bin für meine Mitmenschen viel wertvoller, wenn ich positive Energie ausstrahle. Wenn es mir nicht gut geht, kann ich meine Umwelt nicht verbessern. Und wenn ich eine Sache mit einer positiven Einstellung angehe, werde ich definitiv effektiver sein. Das hat aber nichts mit Naivität zu tun. Schlechte Nachrichten sind natürlich ebenso zutreffend.
Schlechte News als Weckruf, gute News als Motivationstreiber?
Genau. Schlechte News sind notwendig, um uns von unserem Sitzfleisch hochzubekommen. Es braucht die Warnungen, aber es braucht eben auch die Inspiration.
Eine Person wie Donald Trump nährt sich von dem Bild, dass alles schlecht sei. „Make America Great Again“ bedeutet doch, dass es früher besser war. Aber wann denn? Vor zehn Jahren, als Obama Präsident war? Vor 20 Jahren, als wir 9/11 hatten? Oder noch weiter zurück, in Zeiten von Hunger und Not?
Du betonst hingegen, dass die USA die erste Demokratie war…
… und heute sind es laut der UN 86 Länder. Zum ersten Mal in unserer Geschichte leben mehr als die Hälfte aller Menschen in einem demokratischen System.
Weitere Themen, die Du aufbereitet hast, sind Frauenrechte, Mordraten, Ernährung – aber auch die Entwicklung von Lawinentoten.
Ja, ich fand es faszinierend, dass die Zahl der Lawinentoten so stark gesunken ist, obwohl sich deutlich mehr Menschen in der Bergwelt bewegen.
Dass es so viele Menschen in die Alpen zieht, stößt ebenfalls auf Kritik. Wie ist Dein Blick auf den Tourismus?
Für mich ist er eine kulturgeschichtliche Errungenschaft, die natürlich auch negative Nebenwirkungen hat, auf die man reagieren muss. Aber der Tourismus ist für mich sehr positiv belegt. In meiner Heimat Vorarlberg gab es im 20. Jahrhundert noch die Schwabenkinder. Die Bauern schickten ihre Kinder, die sie nicht durchfüttern konnten, nach Schwaben, wo sie über die Saison oft unter schlimmen Bedingungen arbeiten mussten.
Oder wenn ich auf meine eigenen Erinnerungen zurückgreife: Mein erster Design-Job war für ein Jugendmagazin namens Alphorn. Bei Veranstaltungen verkauften wir Käse der Bergbauern, die in den frühen 80ern noch auf jede Unterstützung angewiesen waren. Heute ist der Vorarlberger Käse hochgeschätzt. Und wenn wir beim Essen bleiben: Bei uns gab es in den Gasthäusern ein Schnitzel mit Kartoffelsalat, das war die Spitze des kulinarischen Genusses. Heute kocht man lokal und saisonal und das auf Top-Level und mit viel Freude.
Stefan, für alle, die kein Sagmeister-Werk besitzen: Gibt es Tipps, wie man sich einen positiven Blick auf unsere Welt zumindest ein wenig antrainieren kann?
Vielleicht kann man sich einmal schlau machen, wie viel Zeit man mit Kurzzeitmedien verbringt. Wenn man diese Zeit reduziert und stattdessen was Langzeitiges studiert wie ein Sachbuch, das wird sicher gut tun. Und natürlich gibt es auch unser Buch „Heute ist besser“.
Und den Blick in die Natur, der stets alles besser macht. Vielen Dank für das Gespräch, Stefan.